Wir leben in aufregenden Zeiten, Digitalisierung,
Globalisierung, Klimawandel etc. bringen zweifellos neue inhaltliche sowie
methodische Innovationen. Gleichzeitig leben wir auch in aufgeregten Zeiten.
Aufgrund den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie erreicht man seine
Mitmenschen mittlerweile nur noch, wenn jede Mücke zum Elefanten aufgeblasen
wird: aus einer Idee wird ein Paradigma, aus einer Methode eine Methodologie,
aus einer Innovation eine Revolution. Kurz gesagt, der Zeitgeist lechzt nach
Revolutionen. Leider ist kein Utopia in Sicht, sondern Infantilisierung und
Polarisierung des Diskurses sind die Folgen. Dieser revolutionäre Impetus
überschattet auch die Schuldiskussion.
In diesem Artikel wird dies an einem Buch von Jürgen
Kaube und einer Veranstaltungsreihe zur Schulpolitik am DAI Heidelberg
aufgezeigt. Wäre da nicht dieser Revoluzzer Habitus, könnte man von gelungenen
Beiträgen und ebensolchen Gesprächen berichten. Schule weiterentwickeln statt
neu denken, Evolution mittels Weiterentwicklung der Tradition statt Revolution
der Lehrpläne wäre meiner Meinung nach die sachlich angemessenere Strategie.
In Revolutionären Zeiten ist eine große Nachfrage nach
entsprechendem Personal und damit eine Goldgräberstimmung für
(Konter)Revolutionäre festzustellen. Auf diesem Gebiet ist Deutschland nach wie
vor führend, da es Revolutionäre in Deutschland an jeder Straßenlaterne gibt.
Dies bedingt geradezu logisch die Existenz von Konterrevolutionären. Sauber
geordnet auf der linken Seite die Revolutionäre, auf der rechten die
Konterrevolutionäre, Ordnung muss sein auch in revolutionären Umständen, wir
sind schließlich in Deutschland. Die linke Seite ist überbelegt und zwar
existiert eine Zwei- bis Dreifache Übermacht von Revolutionären gegenüber
Konterrevolutionären. Weiterhin streben zig Universitäten danach, die
Revolutionäre von morgen auszubilden.
Heidelberg ist nicht nur die älteste deutsche
Universität (gegründet 1386), sondern eine der bekanntesten Ausbildungsstätten
für revolutionäre Häuptlinge. Wenn man also nach den neuesten revolutionären
Trends sucht, so kann man diese in Heidelberg in verschiedenen Institutionen
kennenlernen. Eine davon ist das DAI, das Deutsch-Amerikanischen Institut.
Hier wird seit Jahren in verschiedenen Vortragsreihen das Beste vom Besten
vorgestellt, darunter machen es die Heidelberger kaum. Leider hat Toyota das
Motto „Nichts ist unmöglich“ schon patentiert. Es wäre genau das richtige
Motto für die Ansprüche des DAIs.
Am 12. Februar 2020 stand nun beim DAI die Schulpolitik
auf der Tagesordnung. „Schule neu denken“ heißt eine aktuelle Reihe, die nichts
weniger als eine Bildungsrevolution will, das Alte muss weg und etwas ganz
Neues muss her. Die Zuhörer wurden diesbezüglich nicht enttäuscht, gleich zwei
Revolutionen wurden angekündigt und vorgestellt: Einmal die Revolutionierung
der Institution Schule als Unterrichtsort und zum Zweiten die Revolutionierung
des Lehrplans.
Jakob Köllhofer, der Leiter des DAI und oberster
Trendsetter in Revolutionsangelegenheiten, trat ans Mikrofon und verlor nur
wenige Worte zum Referenten, schließlich war dies auch nicht nötig. Jürgen
Kaube ist als Autor und Herausgeber der FAZ kein Unbekannter, schon gar nicht
in Heidelberg. Spätestens seit seiner hervorragenden Biographie über Max
Weber, wo vor allem Weber´s Heidelberger Zeit sehr liebevoll dazu
kenntnisreich beschrieben wurde, dürfte er zumindest im Juste Milieu jedem ein
Begriff sein.
Köllhofer informierte das Publikum über den Stand eines
seit Jahren existierenden Projekts: Die Gründung einer Modellschule, in der
nur die besten und revolutionärsten Ideen umgesetzt werden, selbstverständlich
von bestens ausgebildeten Revolutionären. In Heidelberg zweifelt man keine
Sekunde, dass auch in diesem Politikbereich Deutschland eine Vorreiterrolle
einnehmen kann, ja einnehmen muss.
Es wäre nun sehr boshaft, wenn man auf die Idee kommt,
dass man hier das alte deutsche Motto „Und es mag am deutschen Wesen / Einmal
noch die Welt genesen“ (Franz Emanuel August Geibel, Deutschlands Beruf, 1861)
pflegen würde. Zu Zeiten des Tausendjährigen Reiches, das auch in Heidelberg
exakt 12 Jahre dauerte, lautete das Motto der Universität „Dem deutschen
Geist“. Warum sollte man sich auch mit anderen Kulturen auseinandersetzen,
wenn es im Endeffekt nur auf den deutschen Geist ankam?
Nach dem Krieg hat die Universität wieder das
ursprüngliche Motto „Dem lebendigen Geist“ übernommen. Nicht wenige haben auch
hier vor allem während der Bonner Republik eine 180 Grad Wende hinbekommen. Da
aber weder Bescheidenheit noch Demut deutsche Tugenden sind, nicht mal
Sekundär-, geschweige denn Primärtugenden, hat mittlerweile der Zeitgeist der
Berliner Republik auch in Heidelberg Einzug gehalten, der nicht zuletzt seit
1968 auch von hier aus mitentwickelt wurde. Damit herrscht auch hier eine
Geisteshaltung, die davon ausgeht, dass Deutschland der einzige Staat weltweit
ist, der eine Vorreiterrolle übernehmen kann, ob nun in der Bildung oder beim
Klima. Zweifel daran sind nicht angebracht. Im Mittelalter hat man noch in
jeder Fakultät den Zweifel gepflegt, jeder Student musste während seines
Studiums auch den advocatus diaboli geben, damit die Rolle des Bösen
schlechthin einnehmen. Heute dürfen Studenten an Universitäten ja bekanntlich
nicht mehr mit anderen Meinungen konfrontiert werden. Damit die Heidelberger
Universität als Volluniversität firmieren kann, leistet sie sich auch ein
Philosophisches Seminar wie ehedem Könige an ihren Höfen Hofnarren. Für den
Exzellenz-Status, den die Universität selbstverständlich besitzt, ist dies
irrelevant. Wichtig ist, dass positives Wissen von revolutionären
Wissenschaftler generiert wird, mit dem man alle Probleme meistern kann.
Weiterhin kompetente Technokraten mit einer tadellosen humanistischen Haltung
ausbildet werden.
Im Endeffekt hat man eine 360 Grad Wende hinbekommen,
zwar weist man empört jeden Vergleich mit der nationalistischen Arroganz der
Nazi-Zeit zurück, die Vorreiterrolle ist ja was komplett anders. Es geht ja
nicht einfach darum, dass die Welt den deutschen Geist nachäfft, sondern nur
darum, dass die Deutschen dank ihrer humanitären Haltung sich in einer
Vorreiterrolle opfern, damit die Welt gerettet werden kann.
Eine 360 Grad-Wende Vollziehen heißt nicht
notwendigerweise sich im Kreise zu drehen. Wer das vertritt, kennt den
hermeneutischen Zirkel als Spiralbewegung des Verstehens und damit die
Arbeiten eines der bedeutenden Heidelberger Philosophen, Hans-Georg Gadamer,
nicht. Eine 360 Grad-Wende kann eine Annäherung an die Wahrheit oder aber ein
Irren auf höherem Niveau bewirken.
Köllhofer musste leider eine sehr bedauerliche
Nachricht seinem Publikum überbringen. Trotz jahrelangem Einsatz ist noch
keine Modell-Schule in Sicht. Dies liegt an einem ganz banalen Grund:
Raummangel. Aufgrund des Wegzugs der Amerikaner aus Heidelberg gibt es zwar
viel Baugrund. Wer aber den Baufortschritt in deutschen Landen kennt, weiß,
dass Bauherren einen langen Atem, viel Geduld und noch mehr Geld brauchen. Der
deutsche Geist ist zwar nach wie vor sehr stark, allein Demographie bedingt
kann der Körper nicht mehr so gut mithalten. Daher dürfte es auch mit dem Bau
einer Vorzeigeschule in Heidelberg noch etwas dauern.
Erziehungswissenschaftler, Lehrer und Pädagogen dieser
Welt müssen trotzdem nicht weiter ziellos vor sich hin Wursteln, an
revolutionären Konzepten und Bildungsrevoluzzern herrscht in Deutschland kein
Mangel und schon gar nicht in Heidelberg. Ein Besuch in Heidelberg lohnt sich
allemal, wer hier keine relevanten Bildungsideen findet, kann vielleicht bei
einem Spaziergang auf dem Philosophenweg, beim Besuch des romantischen
Schlosses oder bei einem netten Abendessen selber neue Ideen entwickeln oder
aber die Vorteile von alten, Jahrtausende erprobten Ideen für sich entdecken.
Damit komme ich nun zum Hauptteil des Abends, dem Vortrag von Jürgen Kaube.
Kaube hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Ist die
Schule zu blöd für unsere Kinder?“. Darin erteilt er vor allem den Entwicklern
von Lehrplänen Nachhilfe. „Lehrpläne sind die dümmste und unnützeste
Textgattung des Universums“ so Kaube in seinem Vortrag. Im Buch lautet die
entsprechende Passage wie folgt: „weg mit den Lehrplänen. Sie sind in ihrer
jetzigen Form die dümmste Textsorte, die es im gesamten Schulsystem gibt“.
Es handelt sich beim Titel um eine rhetorische Frage,
auf jeder Seite wird am systemischen Mangel des Schulsystems keinen Zweifel
gelassen. Vor allem die Reformen, die die 68er Revolutionäre zu verantworten
haben, sind für die Malaise verantwortlich. Die 68er werden ständig durch den
Kakao gezogen und als bildungsferne sowie realitätsfremde Menschen
hingestellt. Auch wenn ich nicht wenige Argumente teile, so bleibt ein
Unbehagen, wenn Andersdenkende zu Pappkameraden degradiert und vorgeführt
werden. An den Kapitelüberschriften ist leicht zu erkennen, dass Kaube sich
genau wie seine Gegner, es sind definitiv keine Gesprächspartner, als
(Konter)Revolutionär versteht, der in typisch deutscher Tradition sich als
Besserwisser inszeniert. Hier einige verkürzte Beispiele seiner
Kapitelüberschriften: Was die Schule kann und muss, wovon man die Schule
befreien muss, was zu tun ist.
Polarisierung des Diskurses: Politisierung der Wissenschaft,
Moralisierung der Politik sowie Kuhns Begrifflichkeiten als Instrumente
von (Konter)Revolutionären
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In der Regel versuchen diejenigen, die apodiktische
Urteile abgeben, diese mit der Autorität der Wissenschaft und der Moral zu
legitimieren: Politisierung der Wissenschaft und Moralisierung der Politik ist
die Folge. Die Vorstellung, dass man „die Wahrheit“ oder „das Gute“
zweifelsfrei ermitteln kann, ist eine prämoderne Chimäre. Ganz will man den
Traum, Wahrheit und Richtigkeit zweifelsfrei zu ermitteln, nicht aufgeben. So
hat Jürgen Habermas ein pragmatisches Modell der Politikberatung vorgestellt,
demzufolge alle Legitimationsdilemmata überwunden werden können. Wenn alle
Beteiligten, Bürger, Wissenschaftler wie Politiker, guten Willens sind,
rational vorgehen, dann steht am Ende eine Entscheidung, die dann sowohl den
Ansprüchen der Wissenschaft und der Moral entspricht sowie demokratischen
Verfahren gerecht wird. Daher können und müssen so legitimierte Entscheidungen
von allen akzeptiert werden.
Damit sind in Kürze die philosophischen Prinzipien der
Kritischen Theorie angegeben, die die Grundlage der 68er Revolutionäre bilden.
Sie glauben immer, dass sie im Besitz der Wahrheit sind, moralisch das
richtige Tun sowie in einem demokratischen, freien Diskurs einen Konsens der
Vernünftigen erringen könnten, d.h. die anderen von der Richtigkeit ihrer
Meinungen überzeugen können. Die prinzipiellen Grenzen der Vernunft, die seit
Kant herausgearbeitet wurden, werden einfach ignoriert.
Thomas Samuel Kuhn hat in seinen bahnbrechenden
Arbeiten darauf hingewiesen, dass bei der Annahme von neuen Theorien nicht nur
rationale, sondern auch politische, psychologische und soziologische Gründe
eine Rolle spielen. Er hat insbesondere in seinem Buch „Die Struktur
wissenschaftlicher Revolutionen“ die Entwicklung der Physik, genauer die
(kopernikanische) Wende vom ptolemäischen zum kopernikanischen Weltbild
analysiert. Dabei verwendet er für die Beschreibung und Erklärung dieser Wende
neue Begrifflichkeiten (Paradigma, Inkommensurabilität, (kopernikanische)
Revolution, normale Wissenschaft). Diese prägen seit Jahrzehnten nicht nur die
wissenschaftlichen Auseinandersetzungen in allen Fächern, sondern auch die
öffentliche Diskussion, allerdings leider in einer sehr undifferenzierten Art
und Weise.
So wird der Begriff „Paradigma“ von allen sehr inflationär, in sehr
unterschiedlichen Bedeutungen und auch oft missverständlich gebraucht. Dies
liegt nicht zuletzt an der Vagheit des Begriffs, die Kuhn offen zugibt: „Ein
Teil seines Erfolges, so muß ich mir mit Bedauern sagen, rührt daher, daß fast
jeder alles herauslesen kann, was er will. An dieser übermäßigen Formbarkeit
ist nichts an dem Buch so stark verantwortlich wie die Einführung des
Ausdrucks ‚Paradigma‘“. Margaret Mastermann, eine Wittgenstein-Schülerin, hat
mindestens 22 verschiedene Bedeutungen herausgearbeitet.
Der Missbrauch von Kuhns Konzepten ist sehr stark
verbreitet, Kuhns Buch dürfte das am meisten zitierte und am wenigsten
gelesene Buch sein. Vor allem die infantilste Bedeutung, Altes ist schlecht
und muss durch Neues ersetzt werden, hat sich sehr stark durchgesetzt und
begünstigt jede noch so platte Forderung nach Erneuerung, Neustart etc. Damit
wird in allen Bereichen ein Feldzug des vermeintlich „Neuen“ gegen das „Alte“
an die Stelle sachlich-sorgfältiger Entwicklung gefordert: Gesinnung schlägt
Besinnung. Beide, Revolutionäre wie Konterrevolutionäre, benutzen gerne Kuhns
Vokabular. Dabei gebären sie sich wie manichäische Glaubenskrieger, die genau
zwischen Licht und Finsternis, Gut und Böse unterscheiden können: tertium non
datur. Damit wird ein Diskurs zwischen Andersdenkenden quasi von vornherein
verhindert, da Andersdenkende nur als ungebildete dazu moralisch verwahrloste
Pappkameraden vorgeführt werden: Das Freund-Feind-Schema von Carl Schmitt kann
hier in Vollendung betrachtet werden. Dabei wird die gemeinsame Grundlage von
Links- und Rechtshegelianern sichtbar.
Der oben skizzierte manichäische Revoluzzer-Habitus
steht in einem grundlegenden Gegensatz zu dem in der abendländischen
Philosophie und Wissenschaft entwickelten sokratischen Habitus, indem der
Zweifel und nicht die Gewissheit zentral ist. Der Heidelberger Philosoph
Hans-Georg Gadamer hat sich in seinen Schriften für einen Diskurs auf Augenhöhe
eingesetzt und insbesondere in Heidelberg mehrere Jahrzehnte dies auch
praktisch umgesetzt. Ich habe Gadamer in den 80er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts in Seminaren und Vorträgen erlebt. Er hatte den Anspruch, dass
jedes Gespräch zu einem Erkenntnisgewinn für beide Seiten führen müsste. Dies
konnte am besten gelingen, wenn sich Kontrahenten radikal in Frage stellten.
Gadamer beschwerte sich über den Großvatereffekt, nämlich, dass seine Zuhörer
ihn wegen seiner Reputation und seines Alters kaum in Frage stellten und vor
allem Verständnisfragen formulierten. Gadamer beeindruckte durch seine
Ernsthaftigkeit, Schonungslosigkeit nicht nur gegenüber anderen, sondern auch
sich selbst gegenüber sowie restlose Unbestechlichkeit. Unverspieltheit, nicht
postmoderne Beliebigkeit, war sein Markenzeichen, er war stets zur
Selbstkorrektur bereit und uneitel, keine Schauspielerei oder Pose.
Kaube hat etwas gemeinsam mit Gadamer, da er sich für
Konzepte einsetzt, die als überholt angesehen werden. Kaube setzt sich für die
Rehabilitierung des Frontalunterrichts und für einen lehrerzentrierten
Unterricht ein. Dies sind alles Methoden, die von den 68er Revolutionären als
von gestern diffamiert werden. Gadamer hat sich für die Rehabilitierung von
Vorurteilen stark gemacht, das Vorurteil sei auch ein Urteil, das nur dem
aktuellen Urteil vorangeht. Die zeitliche Entstehung kann aber nichts über die
Qualität der Urteile aussagen. Der Unterschied liegt im Umgang mit
Andersdenken, Gadamer hat immer mit allen auf Augenhöhe gestritten.
Es sei hervorgehoben, dass am Ende der Diskussion am
DAI ein junger Mann den genius loci rettete und damit in einen kontroversen
Dialog mit Kaube eintrat. Es kam zu einem lebendigen, aus Zeitgründen aber
leider nur zu einem sehr kurzen Gespräch.
Fazit: Schule weiterentwickeln statt neu denken,
Evolution mittels Weiterentwicklung der Tradition statt Revolution der
Lehrpläne wären die sachlich angemessenere Strategien
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Jakob Köllhofer gelingt seit Jahren im DAI Heidelberg
regelmäßig gute Veranstaltungsreihen auf die Beine zu stellen. Wäre da nicht
dieser spätpubertäre 68er Revoluzzer Habitus, könnte man davon sogar schwärmen.
„Schule neu denken“ ist kein geeignetes Moto, sondern reine, revolutionäre
Polemik.
Die perfekte Schule wird es nie geben und kann es gar
nicht geben. Dies ist nicht besonders tragisch, da das Leben, auf das die
Schule vorbereiten soll, auch nicht perfekt ist. Es ist widersprüchlich,
hässlich, schön, warm, kalt, liebevoll, grausam. Genauso haben zig Tausende
von Generationen die Schule empfunden, dies wird sich auch in Zukunft nicht
ändern.
Weniger ist auch bei der Gestaltung der Schule immer
mehr. Wenn man für das eigene Kind eine halbwegs gute Schule findet, soll man
zufrieden sein. Die Ansprüche an die Schule sind von den meisten Eltern extrem
überzogen.
Es gibt genügend gute Schulen in Deutschland, in
Heidelberg sowohl private als auch staatliche Gymnasien. Jede einzelne ist
eine „Modellschule“, die mit sehr guten bis sehr schlechten Konzepten
arbeitet. Die dort tätigen Pädagogen setzen diese wiederum auf einer Skala von
sehr gut bis sehr schlecht um.
Deutschland hat über Jahrhunderte ein sehr gutes
Bildungssystem entwickelt. Das größte derzeitige Problem sind seit 1968 die
Millionen Revoluzzer, die den professionellen Mitarbeitern im Schulsystem nur
Knüppel zwischen die Beine werfen und meinen alles besser zu wissen.
Analog sieht die Situation bei Lehrplänen aus, in denen
sowohl festgehalten wird, was in der Schule unterrichtet werden soll, als auch
wie dies methodisch geschehen soll. Kaube hat mit seinem Buch einen guten
Beitrag zur „unnützesten Textgattung des Universums“ (Kaube), d.h., zur
Weiterentwicklung von Lehrplänen geleistet. Im Buch gelingt Ihm eine gute
Reduktion von Komplexität. Daher kann man dieses Buch, trotz des infantilen
Titels sowie der anmaßenden Kapitelüberschriften, sowohl Lehrplanverfassern,
Pädagogen und Eltern empfehlen. Weiterhin lohnt es, Kaube als Referenten
einzuladen, sofern ein lebendiger Gedankenaustausch, ein Gespräch im
Gadamerschen Sinn intendiert ist und keine revolutionäre Frontal- oder
Frontbelehrung.
Es sei nicht verschwiegen, dass diese Kritik von
jemanden kommt, für den Revolutionäre ein rotes Tuch sind. Nicht Revolution,
sondern Evolution mittels Weiterentwicklung der Tradition ist meiner Meinung
nach die geeignete Strategie, dies gilt auch für die Weiterentwicklung des
Schulsystems.
„Was du ererbt von deinen Vätern hast, /Erwirb es, um
es zu besitzen“ (Johann Wolfgang von Goethe, Faust, 1808, 682-683), so lautet
ein gern zitiertes Diktum. Auch im Schulsystem können wir auf ein mehrere
Jahrtausende altes, extrem hochwertiges Erbe zurückblicken. Dass Schulkonzepte
und Lehrpläne ständig weiterentwickelt werden müssen, geschenkt. Schule
adäquat für die Zukunft vorbereiten, heißt aber nicht die gesamte
Schultradition wegwerfen und „Schule neu denken“, sondern quasi einen
dialektischen Dreischritt vollziehen: erstens das Erbe in mühevoller Arbeit
erwerben, zweitens dies durch große Anstrengungen pflegen und drittens mit
ebensolcher Energie weiterentwickeln.
Meine gesamte Sozialisation im eigenen Elternhaus, in
der Schule sowie in der Universität, wobei mich die nicht geringe Anzahl an
revolutionären Professoren nicht überzeugen konnten, kann man mit diesen drei
Sätzen wiedergeben. Daher lautet auch mein Motto für alle Lebensbereiche:
Tradition und Fortschritt verbinden.
In aufgeregten und aufregenden Zeiten verspricht solch
eine Vorgehensweise wenig Erfolg. Revolutionäre und keine normalen Arbeiter
sind zumindest im öffentlichen Diskurs gefragt, dies wird nicht von wenigen,
selbstverständlich unberechtigterweise, mit Verweis auf die Arbeiten von Kuhn
begründet.
Kurz gesagt: Die Schule braucht weder Revolutionäre
noch Konterrevolutionäre oder Alles-, Besser- und Bescheidwisser, sondern ein
professionelles Personal, interessierte Schüler, verantwortungsvolle Eltern
sowie ein gedeihliches Miteinander zwischen diesen drei Gruppen.
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