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Tradition und Fortschritt verbinden

 




Rezension

Höffe, Otfried, 2009 [2007]: Lebenskunst und Moral oder macht Tugend glücklich? München: C.H. Beck.

 

 

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Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Strategien, philosophische Standardwerke zu verfassen, den romantischen und den klassischen Weg.

Die  romantische Vorgehensweise hat Ludwig Josef Johann Wittgenstein praktiziert. Er hat sich kaum mit der philosophischen Tradition auseinandergesetzt, sondern hat sozusagen mit zwei Geniestreichen zwei philosophische Standardwerke verfasst (Tractatus-logico-philosophicus von 1921 und Philosophische Untersuchungen von 1951). Damit avancierte er zu einem der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts.

Für die klassische Vorgehensweise steht Otfried Höffe. Dieser lange und dornige Weg beginnt bei den Griechen und führt quer durch Europa nach Amerika und ab und an wieder zurück nach Europa, wie man an diesem Buch sehen kann. Dabei hoffen alle philosophisch Interessierten, die diesen Weg gehen, dass man noch zu Lebzeiten nicht nur die wichtigsten Standardwerke liest und, was viel wichtiger ist, diese auch versteht, sondern auch noch den ein oder anderen eigenständigen Beitrag leisten kann.

Höffe hat auch mit den Griechen begonnen und gleich als Promotion eine Standardinterpretation der praktischen Philosophie Aristoteles vorgelegt. Danach folgten wichtige Standardwerke insbesondere zu Aristoteles und Kant sowie verschiedene Einführungswerke und Lesebücher zur Ethik. Allein dies stellt eine großartige Leistung dar, zumal vielen hauptamtlichen Philosophie-Professoren kein einziges Standardwerk gelingt. Hinzu kommen noch wichtige Beiträge zu politischen Themen (Gerechtigkeit und Demokratie). Nun zu diesem Buch.

Dilemma der philosophischen Ethik (Hans-Georg Gadamer)

"In der Tat scheint die philosophische Ethik angesichts solcher Sachlage in einem unlösbaren Dilemma. Die Reflexionsallgemeinheit, in der sie sich als Philosophie notwendigerweise bewegt, verstrickt sie in die Fragwürdigkeit aller Gesetzesethik. Wie soll sie der Konkretion gerecht werden, mit der das Gewissen, mit der die Empfindung der Billigkeit, mit der die Versöhnlichkeit der Liebe auf die Situation antwortet? Ich glaube nur zwei Wege zu sehen, die innerhalb der philosophischen Ethik aus diesem Dilemma herauszuführen vermögen. Der Eine ist der von Kant gegangene des ethischen Formalismus, der andere ist der Weg des Aristoteles. Beide dürften nicht für sich, aber beide dürften zu ihren Teilen der Möglichkeit der Ethik gerecht werden" (Gadamer, Hans-Georg, 1987 (1963): Über die Möglichkeit einer philosophischen Ethik. Gesammelte Werke. Band 4. Neuere Philosophie II. Probleme - Gestalten. S.177, Hervorhebungen JL).

Höffes Lösung dieses Dilemmas besteht darin, Aristoteles und Kant komplementär zu deuten, erläutern, explizieren, präzisieren, rekonstruieren  oder weiterzuentwickeln. Folgendes hat er angestrebt und erreicht: "Ohne in eins zu fallen, würden die beiden Moraltheorien, die Strebensethik des eudäimonistischen Glücks mit der Willensethik der autonomen Freiheit, sich ebenso ergänzen wie die Doppelaufgabe des Menschen, die der Lebenskunst und der Moral" (S. 72, Hervorhebungen JL).

In diesem Buch gelingt es Höffe nachzuweisen, dass zwei der wichtigsten abendländischen Ethiktypen, die eudäimonistische/aristotelische  und die deontologische/kantische Ethik, sich nicht notwendigerweise ausschließen, sondern sich ergänzen und damit komplementär gedacht werden können. Auch der verbliebene, der dritte Ethiktyp, wird behandelt. Sowohl die Stärken, aber auch die Schwächen des konsequentialistischen Ethiktyps werden betrachtet, der Utilitarismus in seinen verschiedenen Spielarten und auch die Verantwortungsethiken. Während sich der dritte Ethiktyp nur für eine "Ethik der zweiten Linie" (Wolfgang Wieland) eignet, bieten die beiden anderen Ethiktypen grundsätzliche, fundamentale Methoden und Prinzipien.

Otfried Höffe hat nun mit "Lebenskunst und Moral oder Macht Tugend glücklich?" nicht nur "sein Grundwerk zur philosophischen Ethik" vorgelegt, wie es im Klappentext heißt, sondern auch ein Standardwerk zur Ethik. Es handelt sich dabei mitnichten um eine Neuinterpretation, sondern um einen komplexen Ethikentwurf, der zudem auf die gesamte abendländische Ethiktradition zurückgreift. Wer sich auf der Höhe der Zeit mit ethischen Fragestellungen auseinandersetzen will und dabei auf die ganze Kraft, die abendländisch-philosophische Traditionen aufzubringen vermögen, nicht verzichten will, der kommt an diesem Buch nicht vorbei. Dieses Werk sollte nicht nur in öffentlichen Bibliotheken vorgehalten werden, sondern auch in keiner Privatbibliothek fehlen!


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