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          Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Strategien, philosophische 
Standardwerke zu verfassen, den romantischen und den klassischen Weg. 
   
            
                              
 
     
          Die  romantische Vorgehensweise hat Ludwig Josef Johann Wittgenstein praktiziert. Er hat sich kaum mit der philosophischen 
Tradition auseinandergesetzt, sondern hat sozusagen mit zwei Geniestreichen zwei 
philosophische Standardwerke verfasst (Tractatus-logico-philosophicus von 
1921 und Philosophische Untersuchungen von 1951). Damit avancierte er zu einem 
der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. 
   
            
                              
 
     
          Für die klassische Vorgehensweise steht Otfried Höffe. Dieser lange und dornige Weg beginnt bei den Griechen und führt quer durch Europa nach Amerika und ab und an wieder zurück nach Europa, wie man an diesem Buch sehen kann. Dabei hoffen alle philosophisch Interessierten, die diesen Weg gehen, dass man noch zu Lebzeiten nicht nur die wichtigsten Standardwerke liest und, was viel wichtiger ist, diese auch versteht, sondern auch noch den ein 
          oder anderen eigenständigen Beitrag leisten kann. 
 Höffe hat auch mit den Griechen begonnen und gleich als Promotion eine 
Standardinterpretation der praktischen Philosophie Aristoteles vorgelegt. Danach 
folgten wichtige Standardwerke insbesondere zu Aristoteles und 
Kant 
sowie verschiedene Einführungswerke und Lesebücher zur Ethik. Allein dies stellt 
eine großartige Leistung dar, zumal vielen hauptamtlichen 
Philosophie-Professoren kein einziges Standardwerk gelingt. Hinzu kommen noch 
 wichtige Beiträge zu politischen Themen (Gerechtigkeit und Demokratie). Nun zu diesem Buch. 
 Dilemma der philosophischen Ethik (Hans-Georg Gadamer) 
 "In der Tat scheint die philosophische Ethik angesichts solcher Sachlage in 
einem unlösbaren Dilemma. Die Reflexionsallgemeinheit, in der sie sich als 
Philosophie notwendigerweise bewegt, verstrickt sie in die Fragwürdigkeit aller 
Gesetzesethik. Wie soll sie der Konkretion gerecht werden, mit der das Gewissen, 
mit der die Empfindung der Billigkeit, mit der die Versöhnlichkeit der Liebe auf 
die Situation antwortet? Ich glaube nur zwei Wege zu sehen, die innerhalb der philosophischen 
Ethik aus diesem Dilemma herauszuführen vermögen. Der Eine ist der von Kant 
gegangene des ethischen Formalismus, der andere ist der Weg des Aristoteles. 
Beide dürften nicht für sich, aber beide dürften zu ihren Teilen der Möglichkeit 
der Ethik gerecht werden" (Gadamer, Hans-Georg, 1987 (1963): Über die 
Möglichkeit einer philosophischen Ethik. Gesammelte Werke. Band 4. Neuere 
Philosophie II. Probleme - Gestalten. S.177, Hervorhebungen JL). 
  
            
                              
 
     
 Höffes Lösung dieses Dilemmas besteht darin, Aristoteles und Kant komplementär zu deuten, erläutern, explizieren, präzisieren, rekonstruieren  oder weiterzuentwickeln. Folgendes hat er angestrebt und erreicht: 
"Ohne in eins zu fallen, würden die beiden Moraltheorien, die Strebensethik 
des eudäimonistischen Glücks mit der Willensethik der autonomen Freiheit, 
sich ebenso ergänzen wie die Doppelaufgabe des Menschen, die der Lebenskunst und 
der Moral" (S. 72, Hervorhebungen JL). 
 In diesem Buch gelingt es Höffe nachzuweisen, dass zwei der wichtigsten 
abendländischen Ethiktypen, die eudäimonistische/aristotelische  und 
die deontologische/kantische Ethik, sich nicht notwendigerweise 
ausschließen, sondern sich ergänzen und damit komplementär 
gedacht werden können. Auch der verbliebene, der dritte Ethiktyp, wird 
behandelt. Sowohl die Stärken, aber auch die Schwächen des 
konsequentialistischen Ethiktyps werden betrachtet, der Utilitarismus in 
seinen verschiedenen Spielarten und auch die Verantwortungsethiken. 
Während sich der dritte Ethiktyp nur für eine "Ethik der zweiten Linie" 
(Wolfgang Wieland) eignet, bieten die beiden anderen Ethiktypen grundsätzliche, 
fundamentale Methoden und Prinzipien. 
 
Otfried Höffe hat nun mit "Lebenskunst und Moral oder Macht Tugend glücklich?" 
nicht nur "sein Grundwerk zur philosophischen Ethik" vorgelegt, wie es im 
Klappentext heißt, sondern auch ein Standardwerk zur Ethik. Es handelt sich 
dabei mitnichten um eine Neuinterpretation, sondern 
 
um einen komplexen Ethikentwurf, der zudem auf die gesamte 
abendländische Ethiktradition zurückgreift. Wer sich auf der 
Höhe der Zeit mit ethischen Fragestellungen auseinandersetzen will und 
dabei auf die ganze Kraft, die abendländisch-philosophische Traditionen aufzubringen vermögen, nicht verzichten will, der kommt an diesem Buch nicht 
vorbei. Dieses Werk sollte nicht nur in öffentlichen Bibliotheken vorgehalten 
werden, sondern auch in keiner Privatbibliothek fehlen! 
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