Zur Homepage von Johann Lauer
Tradition und Fortschritt verbinden

 




Praktische Wissenschaften

Bei diesem Projekt werden die prinzipiellen Grenzen des Konzepts der angewandten Wissenschaften (applied sciences) aufgezeigt und als Alternative auf die seit der Antike bestehende praktische Tradition verwiesen.

In einem Artikel habe ich die Notwendigkeit einer praktischen, neben einer deskriptiven und explanativen Methodologie erörtert. Die Kurzfassung und die Schaubilder geben eine prägnante Übersicht über meine Argumentation:

Eine ausführliche Version dieses Vorhabens findet sich als work in progress hier: praktische-wissenschaften.de.

Methodologie

 Philosophie der Politikwissenschaft
 Praktische Wissenschaften
 Praktische Politikwissenschaft

Themen

 Europäische Union
 Soziale Sicherheit
 Internet/Generative KI

Person

 Forschungsschwerpunkte
 Publikationen
 Lebenslauf



Kurzfassung: Methodologie empirischer und praktischer Politikwissenschaft

Seitenanfang

Ausgangspunkte: Verwissenschaftlichung und methodologischer Reduktionismus

Spätestens seit dem 20. Jahrhundert ist eine Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche inklusive der Politik eingetreten, die durch eine hohe Dichte und Ubiquität wissenschaftlicher und pseudowissenschaftlicher Ergebnisse gekennzeichnet ist.

Gefährlicher als einzelne Propheten im Wissenschaftsgewand sind Strukturprobleme. Im Mainstream der Wissenschaften dominiert ein methodologischer, insbesondere kausaler Reduktionismus. Damit bestimmt in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts ein Laplacescher Dämon mittels entscheidungstheoretischer Algorithmen Politik und Wirtschaft.

Das "Bacon-Projekt" (Lothar Schäfer) bildet den Kern der heute dominierenden "Leonardo-Welt" (Jürgen Mittelstraß), dessen roter Faden oft die Suche des modernen Wissenschaftlers nach einem archimedischen Punkt, nach dem "was die Welt im innersten zusammenhält" (Johann Wolfgang von Goethe) ausmacht.

Partizipative Wissenschaftsmethodologie und die zehn methodologischen Ebenen

Partizipative Wissenschaftsmethodologie bedeutet, dass innerhalb einer Einzelwissenschaft an konkreten Themen methodologische Einsichten erarbeitet werden. Diese methodologischen Erörterungen entstanden am Beispiel der Politikwissenschaft (vgl. Wissenschaftliche Politikberatung. Teil II: Methodologie praktischer Politikwissenschaft). Das Politikfeld "Soziale Sicherheit" wurde modellhaft mit den wissenschaftlichen Werkzeugen einer praktischen Politikwissenschaft untersucht (vgl. Die Potentiale des deutschen Sozialmodells. Vorschläge für eine konsistente und komplementäre Weiterentwicklung).

Die Methodologie spielt eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, zwischen Wissen (Wissenschaft) auf der einen und Pseudowissen (Pseudowissenschaft) auf der anderen Seite zu unterscheiden. Mit einem Abgrenzungskriterium allein kann diese Unterscheidung nicht herausgearbeitet werden. Für eine Evaluation oder eine Rechtfertigung von Wissen bedarf es allgemeiner und spezieller Kriterien auf zehn methodologischen Ebenen. Dies gilt auch für eine Politikberatung, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit für sich reklamiert.

Methodologischer Reduktionismus versus methodologischer Pluralismus

Insbesondere empirisch orientierte Wissenschaftler arbeiten mit einem methodologischen Reduktionismus (wissenschaftstheoretischen Neoplatonismus) und meinen, dass praktische Probleme mit einer empirischen Methodologie innerhalb von angewandten Wissenschaften (neudeutsch applied sciences) gelöst werden können. Den Kern bildet ein kausaler Reduktionismus, der insbesondere auf einer Äquivalenz zwischen Kausalität und Handlung (Francis Bacon) basiert, sowie "Umkehrungen von Kausalsätzen" (Max Weber) bzw. eine "Umkehrung des fundamentalen Erklärungsschemas" (Karl Raimund Popper) annimmt. Weder die Äquivalenz zwischen Kausalität und Handlung noch die Umkehrungen von Kausalsätzen wurden wissenschaftlich begründet.

Praktische statt angewandte Wissenschaften

Wissenschaftstheoretische Argumente gegen diese Annahmen sowie die Existenz von praktisch-wissenschaftlichen Werkzeugen zeigen erstens die Notwendigkeit und zweitens die Möglichkeit eines genuin praktischen Diskurses sowie praktischer Wissenschaften. Die Vorzüge eines umfassenderen nicht nur methodischen sondern methodologischen Pluralismus (wissenschaftstheoretischen Neoaristotelismus) sollen erläutert, expliziert, präzisiert, rekonstruiert oder weiterentwickelt werden. Nur praktische Wissenschaften, sofern sie die Methodologie einer anderen wissenschaftstheoretischen Tradition verwenden und nicht angewandte Wissenschaften können derzeitigen logisch-analytischen Argumentationsstandards genügen.

Komplementarität zwischen empirischem und praktischem Wissen sowie empirischen und praktischen Wissenschaften

Zwischen empirischem und praktischem Wissen sowie empirischen und praktischen Wissenschaften werden mit Hilfe von unterschiedlichen Werkzeugtypen prinzipielle  Unterschiede begründet, erläutert, expliziert, präzisiert, rekonstruiert oder weiterentwickelt. Empirische (deskriptive, explanative oder prognostische) Wissenschaften und praktische (normative, pragmatische oder technische) Wissenschaften verhalten sich komplementär zueinander. Es handelt sich um unterschiedliche "Formen von Rationalität" (Otfried Höffe). 


Seitenanfang 1. Schaubild: Die zehn methodologischen Ebenen wissenschaftlicher Diskurse
1.1 Wissenschaftstheoretische Grundlagen

Aufgaben und Grenzen, axiologische, epistemische, methodologische und ontologische Voraussetzungen, Bedingungen oder Kriterien sowie Ideale und Eigenschaften wissenschaftlicher Forschung

1.1.1 Wissenschafts- theoretische oder
philosophische Ebene
(1)

 

A. Aufgaben und Ziele wissenschaftlicher Forschung
B. Grenzen wissenschaftlicher Forschung
C. Axiologische, epistemische, methodologische und ontologische Voraussetzungen
(politik)wissenschaftlicher Forschung
1.1.2 Wissensebene (2): Allgemeine Bedingungen oder allgemeine (Kern)Kriterien des
Wissens
Allgemeine Rationalitätspostulate:
A. Intersubjektivität
B. Objektivität
C. Reliabilität
D. Validität
1.1.3 Ebene der Ideale und Eigenschaften (3) wissenschaftlicher Forschung Ideale Eigenschaften
A. Wahrheit
B. Richtigkeit – Ethik
C. Gerechtigkeit – Politik
D. Klugheit
E. Effektivität
A. wahr/falsch
B. richtig/falsch
C. gerecht/ungerecht

D. klug/unklug
E. effektiv/uneffektiv
1.2 Wissenschaftliche Werkzeuge 1.2.1 Begriffsebene (5) Wissenschaftliche Begriffe.
1.2.2 Satzebene (5) Wissenschaftliche Sätze (Aussagen, Normen oder Regeln).
1.2.3 Theorieebene (6) Wissenschaftliche Theorien.
1.2.4 Logikebene (7) Formale Schlüsse und Schlussregeln bezogen auf wissenschaftliche Begriffe und wissenschaftliche Sätze.
1.2.5 Argumentationsebene (8) Argumentationsweisen wissenschaftlicher Theorien bzw. logische Struktur wissenschaftlicher Argumente.
1.2.6 Methodenebene (9) Wissenschaftliche Ermittlung von Sachverhalten.
1.2.7 Ebene der
methodischen Ansätze
(10)
Wissenschaftliche Generierung von Theorien.
Quelle: Lauer 2013, praktische-wissenschaften.de/schaubilder-pw.htm

 

 

Seitenanfang 2. Schaubild: Drei Traditionen und zehn Ebenen politikwissenschaftlicher Methodologie
Wissenschafts- methodologien sowie Wissenschaftstypen I. Beschreibende Tradition:
empirisch-deskriptive Methodologie (Wissenschaften)
II. Explanativ-prognostische Tradition:
empirisch-explanative und empirisch-prognostische Methodologie (Wissenschaften)
III. Praktische Tradition: praktische (normative, pragmatische und technische) Methodologie (Wissenschaften)
1. Axiologische und ontologische Ebene Beschreibungen: Weltbeschreibung von (sichtbaren) Phänomenen, Interpretation von Symbolen (Text, Bild, Audio und Video), vor allem mittels Sprache Erklärungen und Prognosen:  Welterklärung von unsichtbaren Kausalitäten vor allem mittels Logik und Mathematik Wertungen: Weltveränderung, praktische (normative, pragmatische und technische) Normierungen und Regulierungen, mittels Logik, Mathematik und Sprache

 
2. Wissensebene empirisch-deskriptives Wissen empirisch-explanatives und empirisch-prognostisches Wissen praktisches (normatives, pragmatisches und technisches) Wissen
3. Ebene der Ideale und Eigenschaften

Ideal der Wahrheit:

Prädikate: wahr oder falsch

Ideal der Richtigkeit (Ethik): richtig/falsch
Ideal der Gerechtigkeit (Politik): gerecht/ungerecht
Ideal der Klugheit: klug/unklug
Ideal der Effektivität: effektiv/uneffektiv
4. Begriffsebene qualitative, interpretative oder klassifikatorische Begriffe quantitative, mathematische oder metrische Begriffe praktische (normative, pragmatische und technische) Begriffe
5. Satzebene deskriptive Aussagen explanative und
prognostische Aussagen
Normen sowie pragmatische und technische Regeln
6. Theorieebene empirische Theorien bestehen aus quantitativen und qualitativen Aussagensystemen, auch Aussagen über Normen und Regelungen. praktische Theorien bestehen aus Regulierungen,
d.h. Systemen von Aussagen und Regelungen.
7. Logikebene

Formale Schlüsse
bezogen auf
Begriffe oder Sätze

Wahrheitsdefinite bzw. -fähige Logik:

Aussagenlogik: Es ist der Fall, dass [...]
Prädikatenlogik
: F "ist ein Mensch".

Modallogiken:
Alethische Modallogik: Es ist notwendig/unmöglich/möglich/kontingent, dass [...]

Epistemische (doxastische) Logik: Es wird geglaubt/unmöglich gehalten/denkbar, dass [...]

Zeitlogik: Es wird immer/war immer/wird einmal/war einmal der Fall (sein), dass [...]

Deontische Logik (Sein-Sollen):
Es ist geboten/verboten/erlaubt/indifferent, dass [...]
Im Gegensatz zur klassischen Logik sind diese nicht wahrheitsdefinit bzw. -fähig (Jørgensen-Dilemma).

Normenlogik (Tun-Sollen, nicht Sein-Sollen), Logik der Imperative, Interrogativlogik,
juristische Logik, Durchführungslogik.

Wirksamkeit und Richtigkeit,
Prima-facie-Eigenschaft von ethischen Normen und politischen Handlungsmaximen.
Normenkonflikte und Normenvermittlung
8. Argumentationsebene

Argumentationsweisen
wissenschaftlicher
Theorien bzw. logische
Struktur
wissenschaftlicher
Argumentationen

analytische, dialektische, empirische, evolutionäre und hermeneutische Argumentationsweisen praktische (normatives, pragmatisches und technisches)  Argumentationsweisen
Erklären-Verstehen-Debatte komplementär gedacht  

 

 

praktische, substanzielle Argumentation,
praktischer Syllogismus und
pragmatischer Syllogismus

Verstehen Erklären
abduktive, induktive, substantielle, schlussregel- begründende, tentative, formal nicht gültige, epagogische Argumentationsweisen:
Hegelsche Dialektik, hermeneutischer Zirkel.
deduktive, analytische,
schlussregel-gebrauchende, schlüssige, formal gültige Argumentationsweisen:
deduktiv-nomologisches Modell (oder HO-Schema), evolutionäres Erklärungsmodell
Aristotelische Topik
9. Methodenebene
am Beispiel der
Politikwissenschaft.

Generierung und
Evaluation von
Sachverhalten

empirisch-deskriptive Methoden empirisch-explanative Methoden praktische (normatives, pragmatisches und technisches) Methoden
qualitative Methoden:
Inhaltsanalyse, Dokumentenanalyse, teilnehmende Beobachtung
quantitative Methoden:
quantitative Datenerhebung: Korrelations- und Regressionsanalysen
Argumentieren, Diskurs, Deliberation, Mediation, Synopse, kategorischer Imperativ,
Evaluation, Implementationsplanung,
Technologiefolgenabschätzung (TA)
Triangulation: Die Anwendung
quantitativer und qualitativer Methoden auf ein Phänomen.
10. Ebene der
methodischen Ansätze

am Beispiel der
Politikwissenschaft.


Generierung und
Evaluation von
Theorien

Ansätze mit empirischen und praktischen Elementen
sozialtechnologischer, synoptischer, praktisch-normativer, kritisch-dialektischer, empirisch-normativer, argumentativer sowie pragmatischer Ansatz, Rationalwahlansatz, Advocacy-Koalitionen-Ansatz, Governance-Ansätze, akteurszentrierte Ansätze (Entscheidungsarenen, Netzwerke, Tausch- und Verhandlungssysteme, Regimes)
empirische Ansätze praktische Ansätze
historischer, institutioneller sowie strukturalistischer Ansatz, Narratives, Frames, Diskurse behavioristischer, funktionalistischer und quantitativer Ansatz
 
partizipativer Policy-Ansatz,
dezisionistischer, synoptischer,
normativer, pragmatischer und
technischer Ansatz

 


Philosophie der Politikwissenschaft Praktische Wissenschaften Praktische Politikwissenschaft Europäische Union

Soziale Sicherheit Internet/Generative KI Forschungsschwerpunkte Publikationen Lebenslauf

   Copyright: Johann Lauer    Impressum Haftungsausschluss
 E-Mail: johann@lauer.biz Seite drucken Pfeil-Rechts   Pfeil-Rechts

English version
Seitenanfang